Der Blick des Kindes auf die Leinwand und die Welt
Der Geist des Bienenstocks / El espíritu de la colmena
17. Januar 2018
Ein kleines Mädchen sieht im Wanderkino den Horrorfilm Frankenstein (R: James Whale, USA 1931) und wird von diesem Kinoerlebnis so beeindruckt, dass sie beginnt, das Monster in der Realität – einem kastilischen Dorf der 1940er Jahre, zum Ende des spanischen Bürgerkriegs – zu suchen.
Das ist die Geschichte, von Der Geist des Bienenstocks (El espíritu de la colmena, R: Víctor Erice, Spanien), der 1973, in der Spätzeit des Franco-Regimes, entstanden ist. Er gehört zu einer Reihe von spanischen Filmen – wie auch Carlos Sauras Züchte Raben (Cría Cuervos, Spanien 1976) –, die über die Figur eines Kindes die traumatische Vergangenheit des Krieges und der Diktatur bearbeiten.1 Der Geist des Bienenstocks ist aber auch ein herausragendes Beispiel für die Filme der europäischen Moderne, die Kinder als Kinogänger zeigen, um die Wirkung des Mediums auf die Zuschauer*innen und die Rolle des Kinos in der Kindheit zu veranschaulichen. In Filmen wie Sie küssten und sie schlugen ihn (Les quatre cents coups, R: François Truffaut, Frankreich 1959), Jacquot de Nantes (R: Agnès Varda, Frankreich 1990) oder Im Lauf der Zeit (R: Wim Wenders, BRD 1976) ist der Kinobesuch nur eine in sich geschlossene Episode. In Der Geist des Bienenstocks wird er dagegen zum Ausgangspunkt der Handlung und einer Reflexion des Zusammenhangs von Kino, Wahrnehmung und Bildung.
Der Blick eines Kindes auf die Leinwand und die Welt ist in diesem Film auf mehreren Ebenen gegenwärtig. Als Initiationsgeschichte handelt Der Geist des Bienenstocks davon, wie eine angsteinflößende Filmerfahrung verarbeitet wird und wie diese den Blick auf die Welt verändert. Die Begegnung mit dem Unheimlichen findet jedoch nicht nur auf Ebene der Handlung statt, sie prägt die Ästhetik des Films, dessen Realismus durch Horrorelemente unterwandert wird: Wie das Kind wird der Film selbst von Frankensteins Monster heimgesucht. Wie das Kind erfahren die Zuschauer*innen die filmische Welt als unheimlich. Schließlich kann der Film auch als Ausdruck von Kindheitserinnerungen verstanden werden, von der Erinnerung an prägende Kinoerfahrungen einer Kindheit im Franco-Regime, wo das klassische Hollywoodkino ein Fenster zur Welt bot. In der deutsch- und englischsprachigen Sekundärliteratur wurde Der Geist des Bienenstocks vor allem in Bezug zu diesem historischen Kontext thematisiert, hier soll hingegen die Analyse des kindlichen Blicks und der Kinoerfahrung im Vordergrund stehen. Es geht um die Frage, was dieser Film vom Kino und von der Kindheit vermittelt.
Die Begegnung mit Frankenstein im Kino
Der erste Protagonist von Der Geist des Bienenstocks ist das Kino selbst. Es wird zu Beginn des Films eingeführt, noch ehe die Hauptfiguren in Erscheinung treten. Die erste Einstellung zeigt ein Auto auf einer verlassenen Landstraße, Schriftinserts kündigen den Ort „ein Dorf in Kastilien“ und die Zeit „irgendwann um 1940“ an. Die Ankunft im Dorf wird von Kindern freudig mit den Rufen begrüßt: „Das Kino kommt!“. Es folgt der Aufbau des Wanderkinos: Kopien werden unter den erwartungsvollen Blicken und Zurufen der Kinder aus dem Auto geladen, der Projektor im Gemeindesaal aufgebaut. Dorfbewohner treten herein, stellen Stühle vor die Leinwand, setzen sich, die Lampe wird aufgedreht, bevor der Projektor zu rattern beginnt und ein Lichtstrahl den Film auf die Leinwand projiziert.
Das Kino wird als Apparatur eingeführt, aber auch als sozialer Ort, an dem sich die Bewohner*innen des Dorfes, alt und jung versammeln, und als Gegenstand der Kommunikation, der auf unterschiedliche Weise angekündigt und besprochen wird. Auf die ungeduldigen Fragen der Kinder preist der Chef des Wanderkinos den Film im Tonfall des Kenners als ein „Meisterwerk“ an, eine Ausruferin gibt mit monotoner Stimme den Titel Frankenstein, Regie und Preis bekannt und im später gezeigten Filmvorspann tritt ein Mann vor einen Vorhang, um im Namen der Produzenten mit verheißungsvoller Miene vor dem kommenden Horror zu warnen. An der Außenwand des Gemeindesaals ist ein Plakat zu sehen, das den zur Ikone gewordenen Kopf des Kino-Monsters über dem leblosen Körper einer Frau zeigt. Und durch die Wände dringen Dialoge nach draußen auf die Dorfstraße, bevor schließlich Szenen des Films zu sehen sind, in denen das Monster mit einem kleinen Mädchen spielt, das kurz danach tot durchs Dorf getragen wird.
Diese im 30-minütigen Anfangsteil von Der Geist des Bienenstocks gezeigte Ankunft des Films im Dorf führt wesentliche Aspekte des Kino als Ort und Medium vor und deutet verschiedene Rezeptionsweisen an: eine cinephile, der es um eine Feststellung der filmgeschichtlichen Bedeutung des Horrorfilms Frankenstein geht, und eine naive, die sich der emotionalen Erfahrung des Films, der Angst, hingibt. Es wird ein Eintreten des Kinos in einen ‚unberührten’ Raum gezeigt: in ein von der modernen Welt (und deren Medien) abgeschnittenes Dorf, aber auch in die Vorstellungswelt eines Kindes, der weiblichen Hauptfigur Ana, die – möglicherweise zum ersten Mal – einen Film sieht.
Das Kino wird als Ort der Kinder eingeführt. Nicht nur sind es die Kinder des Dorfes, die das Wanderkino als erste begrüßen. Auch wird die Familie, die im Zentrum des Films steht, in einer Parallelmontage vorgestellt, die die Kinder – Ana und Isabel – im Kino zeigt, während Mutter und Vater anderen Beschäftigungen nachgehen. Die Mutter schreibt einen Brief und bringt ihn zum Bahnhof, wo sie jungen Soldaten im Zug nachschaut. Der Vater pflegt seinen Bienenstock und zieht sich dann in sein Arbeitszimmer zurück. Beide überqueren den Platz vor dem Gemeindesaal, ohne ins Kino einzutreten. Und selbst wenn am Ende des ersten Teils alle Familienmitglieder in dasselbe Haus zurückgekehrt sind, haben sie sich doch nie getroffen – die Kinoerfahrung findet außerhalb der Familie statt.
Diese Kinoerfahrung der Kinder wird nicht nur als ein soziales Ereignis inszeniert, sondern auch als ein besonderes Moment der individuellen, emotionalen Berührung. Die beiden Mädchen Ana und Isabel sind schon zu Beginn Teil des Kinopublikums, sie werden aber erst dann durch Großaufnahmen herausgehoben, als sie die – für den weiteren Verlauf von Der Geist des Bienenstocks entscheidende – Szene der Begegnung des Monsters und des Mädchens sehen. Dieser Moment wird in einem Schuss-Gegenschuss zwischen den Kindern (vor allem Ana) im Publikum und der Leinwand gezeigt, als würde nicht nur auf der Leinwand, sondern auch im Kinosaal eine Begegnung stattfinden. In dem Moment, in dem das Monster aus dem Gebüsch (auf der Leinwand) auftaucht, hebt sich Ana im Zuschauerraum wie angesogen aus dem Sitz heraus. Später, als auf der Leinwand der leblose Körper des Mädchens durchs Dorf getragen wird, bleibt Anas Blick gebannt nach oben gerichtet, während sie die neben ihr sitzende Schwester fragt: „Warum hat er sie getötet?“ Auch für die Zuschauer*innen bleibt die Szene aus Frankenstein rätselhaft, da der Moment des Mordes im Schnitt ausgelassen wird und damit der Übergang von dem gemeinsamen, arglosen Spiel mit Blumen zum Tod des Kindes. Nicht nur das Kind auf der Leinwand, auch Ana und Isabel im Kinosaal begegnen einem Monster – dem Film, einem aus leblosen Teilen zusammengesetzten Körper, der durch Licht zum Leben erweckt wird.
Die besondere Faszinationskraft dieser Szene liegt jedoch nicht in der Inszenierung, sondern in ihrer dokumentarischen Dimension. Die physiognomische Vielfalt des Publikums, die nuancierten, unwillkürlichen Reaktionen auf den Gesichtern – vor allem auf den Gesichtern der Kinder, die wie gebannt auf die Leinwand starren, die auf den Lippen kauen, plötzlich die Hände vor das Gesicht schlagen, oder wie die Hauptfigur Ana subtile, kaum merkliche Regungen zeigen – deuten an, dass hier – zumindest teilweise – eine reale Kinosituation gefilmt wurde. Immer wieder wird in der Totalen der Raum mit Projektor, Lichtstrahl, Leinwand und Publikum vorgeführt. Detailaufnahmen der Gesichter spiegeln offenbar die Emotionen beim Anblick eines Schauspiels – auch wenn das konkrete Wechselspiel von Leinwand und Gesichtern, von dem, was sie sehen, und wie sie reagieren, von Aktion (auf der Leinwand) und Reaktion (im Publikum) in der Montage konstruiert ist.
Víctor Erice selbst hat in verschiedenen Interviews beschrieben, dass die Kinosituation mit zwei Kameras gefilmt wurde. Die eine nahm den Raum als Ganzes auf, die andere widmete sich den Reaktionen in den Gesichtern – vor allem dem der weiblichen Hauptfigur Ana. Er betont dabei immer wieder die Identität von Darstellung und Aufzeichnung: Die Kamera habe den Moment aufgezeichnet, in dem die Hauptdarstellerin Ana Torrent, Frankenstein (bzw. die Begegnung des Mädchens und des Monsters) zum ersten Mal in ihrem Leben sieht: „The scene is a document [...] it wasn't brought forth artificially. Evidently, it is one of the most intense images of the film because the little girl was living all of that in a totally truthful form, without distinguishing between reality and fiction, and the movie camera was capable of capturing it. [...] It's an unrepeatable moment, unrepeatable.“2
Das Pathos dieser Aussage verweist auf zwei Aspekte des Mediums Film, die in den cinephilen Diskursen des 20. Jahrhunderts eine Schlüsselrolle spielen: zum einen dass Film einen flüchtigen, nicht wiederholbaren Moment aufzeichnen könne (also den filmischen Realismus), zum zweiten dass die Kinoerfahrung für das Individuum ein einzigartiges, prägendes Ereignis darstelle. Beide Aspekte werden in der Der Geist des Bienenstocks von der kindlichen Hauptfigur und ihrer Darstellerin verkörpert.
Ana (Torrent) steht gewissermaßen für eine Infiltration der Fiktion mit Elementen des Realen3, die den weiteren Verlauf des Films (wenn auch weniger explizit) prägen wird. Zum einen ist Der Geist des Bienenstocks eine fiktionale Bearbeitung von Frankenstein oder genauer: der Szene, in der das Mädchen dem Monster begegnet, die mehrfach wiederkehrt. Zum anderen wird die Erfahrung und Nachwirkung von Frankenstein im Blick der Hauptdarstellerin ‚dokumentiert’, die gerade aufgrund ihres Glaubens an das Monster für die Rolle ausgewählt wurde.4 So ist Der Geist des Bienenstocks geprägt von der Intensität dieses Blicks von Ana Torrent, der letztlich unergründlich bleibt und dazu beigetragen hat, dass sie zu einer Ikone des spanischen Kinos wurde. Wie in anderen Filmen – beispielsweise Ten Minutes Older (Par desmit minutem vecaks , R: Herz Frank, Lettland 1978), der in einer minutenlangen Einstellung das Gesicht eines Kindes beim Anblick eines Theaterstücks zeigt – scheint die Kamera im Blick des Kindes die emotionalen Abgründe der Zuschauererfahrung aufzusuchen. Als wolle sie erforschen, was das Kino mit uns, unserer Imagination, Wahrnehmung und Erinnerung macht.
Begegnungen mit dem Fremden in Wirklichkeit und Imagination
„One may therefore regard The Spirit of the Beehive as a chronicle of the child’s newly sparked imaginative engagement with the world through cinema.”5
Im weiteren Verlauf von Der Geist des Bienenstocks wird die Wirkung dieses Kinoereignisses auf die Kinder, vor allem auf Ana, nicht nur vorgeführt, sondern durch das Einfließen von Horrorelementen in die filmische Struktur und Ästhetik 'bearbeitet'. Die realistische Oberfläche des Films, der vorwiegend an realen Schauplätzen, ohne Tricktechniken gedreht wurde, ist von einer Atmosphäre des Unheimlichen, der Angst 'unterwandert'. Diese basiert vorwiegend auf Stilmitteln und Motiven des frühen Horrorfilms der Stummfilmzeit und des Hollywoodkinos der 1930er Jahre – insbesondere der Licht-Schatten-Ästhetik. Damit einher gehen eine Reihe von mehr oder weniger expliziten Bezügen zu Frankenstein, einem der ersten und berühmtesten Horrorfilme des Hollywoodkinos. Ich werde mich im Folgenden vor allem auf die Begegnung des Monsters und des Mädchens in Frankenstein konzentrieren, die bereits in einer Kinderzeichnung im Vorspann vorweggenommen wird und als Matrix für Der Geist des Bienenstocks fungiert. Diese Begegnung mit dem Monster, beziehungsweise einem bedrohlichen Fremden, wird in Variationen reinszeniert. Zuerst macht Isabel Ana vor, dass das Monster ins Elternhaus eingedrungen sei und sie überfallen habe (als Theater/Spiel). Dann trifft Ana in einem verlassenen Haus einen fremden Soldaten (in der Realität) und schließlich begegnet sie in einer Traumszene dem Monster aus Frankenstein (in der Imagination). Es ist, als wäre der Film – wie seine Hauptfigur – besessen von diesem unerklärlichen Moment, in dem ein Kind dem Fremden und dem Tod begegnet, als wiederhole und bearbeite er diesen wie im Zwang in verschiedenen Erscheinungsformen.
In Isabels Reinszenierung der Begegnung mit dem Monster ist der Bezug zu Frankenstein nur indirekt erkennbar, da sie sich nicht auf die im Kino gezeigte Szene bezieht, sondern auf den Moment, den das Filmplakat zeigt: Eine weißgekleidete Frau liegt wie tot da, nachdem sie von dem durch das Fenster eingedrungenen Monster überfallen wurde.
Die Szene wird zunächst aus der Perspektive von Ana erzählt, die ein Rumpeln und einen Schrei hört, und sich zögernd dem Kinderzimmer nähert, in dem sie Isabel vor offenem Fenster am Boden liegend entdeckt. Die Dauer dieser Annäherung und ein Wechsel der Perspektive, wenn Ana den Raum verlässt und die Kamera bei Isabel bleibt, die dennoch nicht aufsteht, lassen auch im Zuschauer Zweifel darüber aufkommen, was hier passiert sein mag. Erst nachdem Isabel Ana (und die Zuschauer) kurz darauf in der Imkerkluft des Vaters als ‚Monster’ verkleidet überrascht – enthüllt sich die Szene als ein ‚böses Spiel’ der Schwester.
Diese Szene stellt den Höhepunkt des zweiten Teils dar, in dem die beiden Kinder in einer Reihe von Episoden mit der gefährlichen Seite alltäglicher Dinge, wie dem Zug und dem Giftpilz, konfrontiert wurden. Sie steht für eine Reihe an Motiven und Bildern, die auf Frankenstein verweisen – wie die Anatomiepuppe Don José, das Feuer als todbringendes Element oder Männer, die des Nachts mit Hunden im Wald nach Ana (bzw. dem Monster) suchen. Die Wirklichkeit von Der Geist des Bienenstocks scheint – wie die Imagination der Mädchen – von den Bildern aus dem Horrorfilm durchdrungen zu sein.
Zugleich führt diese Reinszenierung einer Szene aus Frankenstein die unterschiedlichen Reaktionen der beiden Mädchen auf die angsterregende Kinoerfahrung vor. Indem sie sich in die Rolle des Opfers und des Täters versetzt, scheint sich Isabel zu versichern, dass alles nur ein ‚falsches’ Spiel ist. Schon auf Anas Frage „Warum tötet das Monster das Mädchen? Und warum wird er selbst getötet?“ hat sie dementsprechend geantwortet: „Sie töten ihn gar nicht, und das Mädchen auch nicht. [...] Weil im Kino alles gelogen ist.“ Isabel ist bereits auf der Seite der (medienkompetenten) Erwachsenen, die wissen, dass Filme gemacht sind. Indem sie sich dieses Wissens versichert, hält sie sich die beunruhigenden Fragen, die der Film Frankenstein aufwirft, vom Leib.
Ana glaubt dagegen an das, was sie im Film sieht und bleibt mit der verstörenden Frage nach dem Tod zurück. Indem Isabel mit diesem Glauben von Ana spielt und ihr weismachen will, dass das Monster existiert, schickt sie diese auf die Suche nach dem Unerklärlichen. Isabel hat dämonische Züge, wenn sie die Katze würgt und sich mit dem eigenen Blut die Lippen beschmiert, oder wenn sie wie ein Schatten über das Feuer springt. Aber sie fungiert für Ana auch als eine unwillentliche Vermittlerin, die in dem Moment ihren Einfluss verliert, als Ana sich ihres falschen Spiels bewusst wird. Denn im Gegensatz zu Isabel gibt sich Ana mit dem Spiel nicht zufrieden, sondern sucht in der Realität das Fremde auf, das ihr Angst macht. Paradoxerweise bringt gerade ihr Glaube an das Monster sie dazu, die Wirklichkeit mit anderen Augen zu sehen – zumindest legt dies die Kamera nahe, die immer wieder auf dem unergründlichen Blick von Ana verweilt, wenn sie auf einen Bienenstock, einen Pilz, einen Zug, dem Feuer ruht. Es scheint, als würden mit dem Wissen des Horrorfilms diese im Alltag harmlosen, nützlichen Dinge eine gefährliche Kehrseite enthüllen.6 Es scheint, als würde das Kinoerlebnis Anas Blick (wie auch den Blick der Zuschauer) auf die sie umgebende Wirklichkeit verändern, als würde das Vertraute (Räume, Dinge, Ereignisse) fremd – unheimlich.
Die Verwandlung der Orte und Dinge im Blick des Kindes wird – darin liegt ein Grund für die Faszinationskraft des Films – ohne Tricktechniken, durch grundlegende filmische Gestaltungsmittel erzielt: durch Einstellungen, die länger dauern, als es zur Übermittlung der für die Erzählung wesentlichen Informationen notwendig wäre, und die dadurch eine ständige Anspannung erzeugen; durch Montage und Überblendungen, die neue, imaginäre Verbindungen herstellen jenseits vordergründiger zeitlicher, räumlicher oder narrativer Logiken.
Dies zeigt sich besonders eindrucksvoll bei der Begegnung Anas mit dem fremden Soldaten im verlassenen Haus. Diese Begegnung ist einerseits in der Realität der filmischen Handlung verankert: Ana entdeckt einen Mann in dem verlassenen Haus und gibt ihm den Mantel und die Uhr ihres Vaters. Nach dem Tod des Mannes wird der Mantel dem Vater zurückgegeben, der den Tod des unter der Leinwand des Gemeindesaals aufgebahrten Fremden gewissermaßen beglaubigt und Ana (wortlos) am Frühstückstisch mitteilt, indem er ihr die Uhr zeigt. Andererseits ist die Szene eine Reinszenierung der Begegnung des Mädchens mit dem Monster. Wie das Mädchen in Frankenstein trifft Ana auf einen Fremden, der bedrohlich ist (er bedroht sie hier mit der Waffe), mit dem sie sich aber dennoch anfreundet. Sie kommunizieren nur über Gesten und Gaben – statt Blumen reicht Ana ihm einen Apfel, später Kleidung und Essen. Der Mann bleibt, wie das Monster, stumm.
Auch er wird nachts in einem verlassenen Gebäude von anonymen Vertretern der Ordnungsmacht getötet. Das Schussfeuer aus dem dunklen Gebäude erinnert an die brennende Mühle, in der das Monster in Frankenstein den Tod findet.
Diese imaginäre Dimension der Begegnung mit dem Fremden wird nicht nur in der Motivik, sondern vor allem in der Inszenierungsweise nahegelegt. Sie entsteht durch eine Parallelmontage zwischen Ana, die des Nachts aufsteht und in ihrem Umhang gekleidet wie ein Geisterbeschwörer zum Mond schaut, und der Ankunft des Fremden mit dem Zug.
Eine Überblendung von Ana, die die Augen schließt, und den Zugschienen, auf denen der Fremde ankommt, suggerieren einen Zusammenhang, der über die zeitliche Parallelführung hinausgeht. Es entsteht der Eindruck, als habe Ana den Fremden gerufen, als würde Ana nach dem Kinobesuch erneut vom Unheimlichen heimgesucht. Auch die folgende Begegnung mit dem Fremden in dem verlassenen Haus bei Tageslicht wird durch eine Überblendung zwischen Anas schlafendem Gesicht und dem schlafenden Gesicht des Fremden eingeleitet.
Auffällig ist zunächst die reale Dimension der Einstellungen: Sie sind offenbar an einem realen Schauplatz, bei natürlichen Lichtverhältnissen gedreht und werden von den Atmogeräuschen eines über weite Flächen streifenden Windes begleitet. Die Montage und die Überblendung suggeriert jedoch, dass es sich auch um einen Traum Anas, die Einlösung ihres Wunsches, den Geist zu treffen, handeln könnte. Während zuvor in mehreren Szenen Anas Annäherung an das verlassene Haus gezeigt wurde, in dem – laut ihrer Schwester – der Geist des Monsters wohnen solle, werden die Zuschauer*innen hier direkt hineinkatapultiert. Es ist weder zu sehen, wie Ana auf das Haus zuläuft, noch wie sie wegläuft. Erst die erneute Wiederkehr wird in einer totalen Außenaufnahme gezeigt. Die Großaufnahme des Mannes wird erst im Nachhinein an den Blick von Ana angeschlossen und in dem verlassenen Haus verortet. Der Schuss-Gegenschuss, in dem die Begegnung zwischen dem Kind und dem Mann gezeigt wird, kennzeichnet eine merkwürdige Asymmetrie, in der erst der Schatten des Kopfes, später die Hand des Mannes in die Einstellung des Mädchens reicht, um den Apfel zu greifen. Diese Aufhebung von eindeutigen zeitlichen und räumlichen, aber auch kausalen Bezügen (Wann findet das statt? Ist Ana zum ersten Mal da? Hat sie den Mann schon in der Nacht bei der Flucht zum Haus beobachtet?) verleiht der Szene einen schwebenden, traumhaften Charakter, als würde sich jenseits der Oberfläche der Realität eine andere Wahrnehmungsebene öffnen.
Dementsprechend bietet diese Szene mindestens zwei Auslegungsmöglichkeiten, die parallel existieren. Zum einen wurde sie in der Rezeption als Verweis auf den zeitgeschichtlichen Kontext des Franco-Regimes gedeutet.7 Der fremde Soldat, dessen Herkunft und Todesursache in dem Film offen bleibt, wurde als ein Untergrundkämpfer der Republikaner verstanden, den die faschistischen Machthaber nachts erschießen und im Gemeindesaal aufbahren.8 Das Kind Ana erfährt somit, dass die Willkür des Tötens auch in ihrer Welt, in Spanien unter dem Franco-Regime existiert. Die beklemmende Situation im Elternhaus, die ‚Abwesenheit’ der Eltern, die von zurückliegenden Enttäuschungen und Verlusten beherrscht scheinen, wird dadurch ansatzweise nachvollziehbar. Zum anderen – darauf verweist schon die Aufbahrung der Leiche unter der Kinoleinwand – trägt diese Begegnung auch Züge der Begegnung des Mädchens und des Monsters in Frankenstein. Es ist, als hätte Ana das Monster, den Geist in der Realität gefunden.
Scheint in dieser Begegnung mit dem Fremden – wie über weite Strecken des Films – die Realität vom Unheimlichen durchdrungen, so gewinnt schließlich in der Begegnung Anas mit dem Monster die Imagination die Oberhand. der geist des bienenstocks überlässt sich, wie seine Protagonistin, kurzzeitig dem Horrorfilm: Nachdem Ana das Blut am Boden des verlassenen Hauses gefunden hat, flieht sie vor ihrem Vater, der dort auf sie wartet, in den Wald und findet nachts erst einen Pilz, nach dem sie greift, und trifft dann auf das Monster, das nach ihr greift. Diese doppelte Position der Aktivität und der Passivität kennzeichnet auch die nächtliche Re-Imagination der zuvor im Kino gesehenen Szene aus Frankenstein.
Oberflächlich betrachtet wird hier die Szene aus Frankenstein wiederholt: ein Mädchen sitzt an einem See, das Monster taucht aus dem Wald auf, setzt sich zu ihm, greift nach ihr. Die freundliche Szenerie aus Frankenstein, die mit einem unbeschwerten gemeinsamen Spiel im hellen Tageslicht beginnt, ist hier jedoch in eine unheimliche Nachtszene verwandelt, mit Lichtreflexen im Wasser und jenseitig klingenden Frauenchören, die die Geräuschebene ersetzen. Weist in Frankenstein kaum etwas auf den (umso schockierenderen) tödlichen Ausgang hin, wenn das gutartig scheinende Monster und das Kind arglos mit Blumen spielen (die sie ins Wasser werfen), so scheint in der geist des bienenstocks alles auf den Griff des Monsters nach dem Kind hinauszulaufen, ja von ihm angstvoll erwartet oder ersehnt zu werden. Der Schnitt im Moment, als das Monster nach Ana greift, wiederholt den Schnitt in der am Anfang gezeigten Fassung von Frankenstein. Diese hat Ana vermutlich gerade deshalb nachhaltig verstört, weil sie den Moment des Todes (und damit auch dessen Grund) nicht zeigt. der geist des bienenstocks folgt hier einer Zensurfassung von Frankenstein, in der nicht zu sehen ist, wie das Monster das Kind ins Wasser wirft, weil es dieses für eine weitere Blume hält – und weil es versucht, wie Vicky Lebeau formuliert, „wie ein Kind zu spielen, zu sein: ein Kind, das es, natürlich, niemals war“.9 Die Auslassung des Mordes eröffnet erst den Raum für verstörende Fragen, den Raum, den die Imagination besetzen kann.10
Dementsprechend ist die Situation wie ein inneres Bild inszeniert. Wenn sich Anas Spiegelbild im Wasser in das Gesicht des Monsters verwandelt, scheint dieses in ihrer Imagination zu entstehen. Die Begegnung mit dem Monster wirkt wie eine Reflexion ihre inneren Ängste und Sehnsüchte. Die ungewohnten und nicht durch die Handlung motivierten Kamerapositionen und -bewegungen: der Blick vom See ans Ufer, an dem Ana entlanggeht, die Annäherung von hinten an das hockende Mädchen noch bevor wir das Monster sehen, wecken den Eindruck, als würde etwas auf sie blicken und mit ihr geschehen, das sich ihrer Kontrolle entzieht. Ana scheint sich selbst zu begegnen und sich zugleich einer fremden Macht zu überantworten. Wenn sie später hinter der Ruine eines Torbogens auf dem Feld gefunden wird, bestätigt dies nicht nur den Traumcharakter ihrer Begegnung, sondern deutet auch auf die Überschreitung einer Schwelle hin: sei es die Schwelle zum Jenseits oder das Ende der Kindheit.11 In den beiden Begegnungen (mit dem fremden Mann und mit dem Monster) durchlebt Ana die beiden Momente, die sie an dem Film Frankenstein am meisten verstört haben, und die sich in ihrer nach dem Kinobesuch gestellten Frage äußert: Sie erfährt den Tod eines anderen Menschen und den eigenen Tod. In der ästhetischen Durchdringung von Realität und Imagination wird ein komplexes Verhältnis zwischen der Kinoerfahrung und der Realität verhandelt. Beides – so ließe sich argumentieren – sind traumatisierende Erfahrungen für das Kind. Die Kinoerfahrung weckt in Ana erst ein Bewusstsein für die unerklärlichen und bedrohlichen Seiten des Lebens, für die Existenz des Todes und des Verbrechens. Nur weil sie auf die Suche nach dem Monster geht, trifft sie auf den Fremden (und damit auf die unerklärlichen Gräuel der Dorfpolizei). Umgekehrt scheint die imaginäre Figur des Monsters ihr wiederum zu helfen, diese traumatische Erfahrung zu verarbeiten oder auch zu verdrängen, indem sie ein Bild dafür bietet: „Cinema, it seems, has touched Ana’s mind; its preoccupation of her imaginary life has driven her towards hallucination – or, more precisely –, towards refracting the traumas, the enigmas, of the world (the death of the soldier, the loss of herself in the woods) through the protective image borrowed from the screen.”12
Der Blick des Kindes auf die unheimliche Kehrseite der Welt
Anders als das Spiel von Isabel zu Beginn, wird die Begegnung mit dem Monster nicht auf der Realitätsebene begründet. Es gibt keine zweite, ‚objektive’ Perspektive auf das Geschehen – sieht man einmal von der Aussage des Arztes ab, der nebulös von einer traumatischen Erfahrung spricht. Diese Auslassungen, die für die offene Erzählweise des Films insgesamt charakteristisch sind, bieten Raum für Fragen, Imaginationen und für die unterschiedlichsten Deutungen. In der Sekundärliteratur werden die Erfahrungen von Ana vorwiegend in Bezug zum historischen Kontext gesetzt. Der Bienenstock mit seinem von fremden Mächten beherrschten Volk und das Monster werden als Chiffren des Franco-Regimes gelesen. Die Begegnung mit dem Monster wird als Erfahrung eines traumatischen Erbes und als Ausdruck der ambivalenten Haltung nachfolgender Generationen zur Vätergeneration interpretiert.13 Allerdings lässt sich der Film, der die Figur des Fremden ebenso wie Anas Vater mit dem Monster in Verbindung bringt, nicht auf einen eindeutigen Nenner bringen.14 Gerade deshalb hat er auch eine allgemeinere existentielle Dimension, auf die Marcos Uzal verweist, wenn er der geist des bienenstocks als einen Film über die Kindheit deutet, oder genauer über die Ängste der Kindheit: „Angst vor einer unverständlichen Welt, Angst zu sterben, Angst zu leben, Angst Du selbst zu sein."15
Kindheit wird von der kindlichen Hauptfigur verkörpert und über ihren Blick vermittelt. Dieser Blick wird nicht nur in den insistierenden Großaufnahmen auf das Gesicht Anas gezeigt, sondern auch in der filmischen Ästhetik evoziert. Anders als in anderen Filmen, in denen kindliche Protagonist*innen dazu dienen, eine verschobene Perspektive auf traumatische historische Ereignisse zu ermöglichen16, geht es in der geist des bienenstocks weniger darum, was das Kind sieht (oder nicht sieht). Der Blick von Ana bleibt unergründlich und wird nicht in einer stringenten Narration ‚transparent’ gemacht. Es geht vielmehr darum, wie sie sieht, also welche Haltung zu ihrer Umgebung sich im Blick des Kindes auf die Welt (und das Kino) spiegelt. Diese Haltung, der Glaube Anas an eine phantastische, unheimliche Dimension der Wirklichkeit, wird – wie ich im vorherigen Teil gezeigt habe – über die filmische Ästhetik vermittelt, die eine Durchdringung von Wirklichkeit und Imagination suggeriert. Abgesehen von der Begegnung mit dem Monster entsteht diese nicht durch Tricks oder die Integration phantastischer Elemente, in denen sich das Übersinnliche gewissermaßen materialisieren würde, sondern mit genuin filmischen Mitteln, die eine Atmosphäre der Anspannung, des Unheimlichen erzeugen.17 Entscheidend ist dabei, dass diese Wahrnehmung des Unheimlichen nicht durch die narrative Fokalisierung auf die Figur Anas ‚entschärft’ wird (beispielsweise durch die Positionierung der Kamera auf Augenhöhe des Kindes oder durch systematische Blickanschlüsse). Vielmehr lässt der Wechsel von distanzierten, ‚objektiven’ Aufnahmen und Annäherungen an das subjektive Erleben des Kindes auch in den Zuschauer*innen einen grundsätzlichen Zweifel über die (übersinnliche) Natur der gezeigten Wirklichkeit zurück. Die filmische Ästhetik vertritt gewissermaßen den Blick des Kindes, der Blick des Kindes konstituiert die filmische Ästhetik.
Die Wahrnehmung, die dem Kind auf narrativer Ebene zugeschrieben wird, macht sich der Film also in seiner ästhetischen Form zu eigen. Er beansprucht damit gewissermaßen den Blick des Kindes für sich und versucht die Zuschauer*innen in die Wahrnehmung des Kindes zu versetzen. In der Differenz Anas zu ihrer Schwester wird zugleich deutlich, dass Ana nicht für jedes Kind, sondern für eine bestimmte Vorstellung und Erfahrung von Kindheit einsteht. Oder, mit Blick auf die eingangs beschriebene Haltung zur kindlichen Darstellerin, anders formuliert: Der Film versucht, sich in einem forschenden Gestus der kindlichen Wahrnehmung, die in der Hauptdarstellerin verkörpert wird, anzunähern. Damit stellt sich die Frage, welche weiteren Korrespondenzen zwischen der der kindlichen Hauptfigur zugeschriebenen Wahrnehmung und der ästhetischen Form des Films zu finden sind – und wie sich diese nicht nur auf der Ebene der Mikrostrukturen – also der Lenkung der Wahrnehmung innerhalb einzelner Szenen –, sondern in der Bauform des gesamten Films zeigen.
Als erstes wäre da auf die filmische Topografie hinzuweisen, die dem Erfahrungsraum des Kindes entspricht und zugleich Raumkonstellationen des Horrorfilms aufgreift. Der Film spielt an wenigen wiederkehrenden Orten, die sich die Hauptfigur Ana erschließt und die einer Abstufung vom Vertrauten zum Fremden folgen, das Elternhaus, der Gemeindesaal (in dem die Kinovorführung stattfindet) und die Schule im Dorf, die Schienen, das verlassene Haus, Feld und Wald außerhalb des Dorfes. Ausgehend vom Elternhaus, zu dem sie immer wieder zurückkehrt, wagt Ana (und zu Anfang auch Isabel) sich zu immer weiter entfernten und fremderen Orten vor, erst noch mit Familienmitgliedern (Isabel und dem Vater), später dann allein. Dieses Ausloten der Grenzen des Vertrauten zeigt sich nicht nur im Übergang zwischen den Orten, sondern in den Orten selbst, die im Verlauf des Films ambivalent werden. Schon im ersten Teil scheint sich das Elternhaus in ein Geisterhaus zu verwandeln, wenn eine Ansicht bei Tag mit einer Ansicht bei Nacht überblendet wird. Später erschreckt Isabel Ana hier mit ihrer Reinszenierung von Frankenstein. Das verlassene Haus, von dem Isabel behauptet, es sei von dem Geist des Monsters bewohnt, verliert hingegen seine Unheimlichkeit, als Ana sich mit ihm (und später dem fremden Mann, der dort Zuflucht sucht) vertraut macht. Und der Wald, in dem die Kinder mit dem Vater Pilze suchen, zeigt sich bei Tag freundlich, erst als Ana dorthin allein bei Nacht flüchtet, wird er von der Erscheinung des Monsters heimgesucht. Über die Orte, über räumliche Distanzen, erzählt der Film auch etwas über die inneren Bewegungen von Ana. Er schildert, wie sie die Grenzen des Vertrauten immer wieder überschreitet, um sich dem zu stellen, das ihr Angst macht.18
Annette Kuhn bezieht sich auf Donald Winnicott, wenn sie schreibt, dass dieses Austesten von räumlichen Grenzen für das Spiel von Kindern charakteristisch ist und notwendige Prozesse des Lernens im Umgang mit dem Unbekannten initiiert: „The struggle between our impulses and a sense of security ... it is an eternal struggle’, says Winnicott, and it is acted out in our engagement with transitional phenomena, in childhood and beyond. It is the character of an individual’s engagement with boundaries and spaces in the object-world that shapes his or her own ways of dealing with the unfamiliar and the new throughout life.”19
Sie verweist darauf, dass das Medium Film, da es das Verhältnis von Figuren und Raum darstellen, aber auch erfahrbar machen kann, geeignet sei, sich diesen psychischen Konstellationen der Kindheit anzunähern. der geist des bienenstocks scheint genau dies einzulösen, wenn er Anas zögernde Schritte durch die langen Korridore des Elternhauses zeigt oder in langen Einstellungen die vorsichtige räumliche (und innere) Annäherung an das verlassene Haus auf der Ebene filmt. So macht er die Angst des Kindes ebenso wie ihre Überwindung spürbar.
Auch die zugrundeliegende elliptische Erzählweise entspricht der Weltwahrnehmung der kindlichen Hauptfigur. Sie vermittelt die Haltung von jemandem, der die Welt um sich herum nur ausschnitthaft erfährt und (noch) nicht versteht. Dementsprechend folgt der geist des bienenstocks keiner entschlüsselbaren, auf psychologischer Motivation und kausaler Logik der Handlung beruhenden Dramaturgie. Für das Verständnis wesentliche Zusammenhänge bleiben bis zuletzt offen: Wer ist der Adressat der sehnsüchtigen Briefe der Mutter? Wohin fährt der Vater, als er für einige Tage abwesend ist? Woher rühren die Entfremdung der Ehepartner und die depressive Stimmung im Elternhaus? Und wer ist der Fremde, der eines Nachts aus dem Zug springt und später erschossen wird? Diese elliptische Erzählweise wird in der Sekundärliteratur vielfach auf die Zensurbedingungen in der späten Franco-Ära zurückgeführt, in der regimekritische Regisseure begannen die spanische Geschichte mit Mitteln des Symbolismus zu thematisieren.20 Allerdings ist für der geist des bienenstocks der Begriff des Poetischen vermutlich treffender als der des Symbolismus, gerade weil abschließende Ausdeutungen an der offenen Form abgleiten.21 Wo die narrative Stringenz fehlt, sorgt ein Gewebe an wiederkehrenden Motiven (visuell, narrativ, kinematografisch) für vielfältige Resonanzen, die die faszinierende, rätselhafte, unterschiedlich ausdeutbare Wirkung erzeugen.
Die Kinderzeichnungen im Vorspann von der geist des bienenstocks greifen zentrale Figuren, Orte, Situationen und Motive des Films bereits vorweg. Sie verweisen damit, wie Christian Boix gezeigt hat, auf die Bauform des Films, der über wiederkehrende Motive auf Bild- und Tonebene Verbindungen herstellt und Fragen aufwirft.22 Das Motiv des Zuges beispielsweise bringt die Sehnsucht der Mutter, die ihre Briefe zum Zug bringt, mit den Aktivitäten der Kinder, die auf den Gleisen mit der Todesgefahr spielen, und der Flucht des Fremden, der aus dem Zug springt, in Verbindung.
Oder das Motiv der Uhr stiftet einen Zusammenhang zwischen Anas Vater, dem sie gehört, Ana und dem Fremden, an den Ana die Uhr weitergibt, – und regt zum Nachdenken darüber an, ob Ana in der Beziehung zum Fremden etwas sucht, das sie beim Vater nicht findet.
Der Vorspann verweist aber nicht nur auf die Bauform des Films, sondern schreibt diese der kindlichen Wahrnehmung zu. Der Film entsteht gewissermaßen aus den Kinderzeichnungen bzw. er wird von den Kindern (Ana Torrent und Isabel Tellería) in ihren Zeichnungen kommentiert. Dementsprechend fungieren die Motive nicht nur als formale Konstruktionselemente, sondern sie werden in verschiedenen Episoden explizit mit den kindlichen Hauptfiguren in Verbindung gebracht, beispielsweise wenn die Kinder gemeinsam mit dem Vater Pilze sammeln gehen, wenn Ana ins Feuer starrt, wenn die Kinder auf den Gleisen oder mit der Katze spielen. In diesen Episoden haben die Motive die Funktion von Dingen inne, über die sich Kinder die Außenwelt erschließen (und diese imaginär besetzen).23
Auf allen Ebenen – der elliptischen Form, der Motivstruktur, der filmischen Topografie und der Ästhetik des Unheimlichen – macht sich der geist des bienenstocks somit die Wahrnehmung seiner kindlichen Hauptfigur zu eigen und vermittelt diese den Zuschauer*innen. Die filmischen Ästhetik erschließt die kindliche Welterfahrung als ein Ausloten der Grenzen des Vertrauten und Fremden, als Vermischung von objektiven und subjektiven, realen und imaginären Zusammenhängen, als fragmentarische Wirklichkeitserfahrung und als eine Erschließung der Welt über (die imaginäre Besetzung von) Dingen. Inwiefern sich diese in der geist des bienenstocks ermöglichte filmästhetische Erfahrung/Erforschung von Kindheit mit anderen – psychologischen, pädagogischen – Forschungen zur Kindheit deckt oder diese ergänzten, wie ich am Beispiel der Raumerfahrung angedeutet habe, könnte Gegenstand einer weiterführenden Betrachtung sein.
Kino, Kindheit, Bildung
Die Motivstruktur des Films verweist aber auch über die Perspektive des Kindes und das filmische Universum hinaus auf weitere kulturgeschichtliche Kontexte. Ein Beispiel dafür ist das Motiv des Fensters, das in der letzten Szene des Films mit der Genesung von Ana in Verbindung gebracht wird: Sie wacht nachts auf, trinkt Wasser, tritt ans Fenster, öffnet es und schließt die Augen – während auf der Tonebene die Beschwörungsformel wiederholt wird, die Isabel zur Anrufung des Geistes formuliert hat: „Wenn du seine Freundin bist, kannst du mit ihm sprechen, wann immer du willst. Schließe die Augen und ruf ihn: Ich bin‘s Ana“.24
Das (offene) Fenster artikuliert das Verhältnis von Drinnen und Draußen, Vertrautem und Fremdem, das für die Weltwahrnehmung Anas und die filmische Topografie in der geist des bienenstocks grundlegend ist. Es verweist auch auf das kulturgeschichtliche Motiv der Figur am Fenster in der Malerei und auf das bereits erwähnte Motiv des Horrorfilms, in dem die Gefahr (der Vampir, der Somnambule, das Monster) des Nachts am Fenster auftaucht bzw. von einer Frau sehnsüchtig erwartet wird. Beide Kontexte werden in der geist des bienenstocks aufgerufen, wenn die Mutter und der Vater – wie die Briefschreiberinnen und Wissenschaftler auf den Bildern Jan Vermeers – hinter wabenartigen, geschlossenen, von gelblichem Licht durchdrungenen Fenstern des Hauses sitzen und schreiben, oder wenn Ana am Ende in nachtblauer Licht-Schatten-Stimmung am Fenster nach dem Geist ruft. Diese Kontexte lassen in der Haltung des Kindes zur Außenwelt grundlegende Fragen nach dem Verhältnis von Bekannten / Unbekannten, Sichtbaren / Unsichtbaren, Diesseits / Jenseits, Realem / Imaginären, Selbst / Anderem erkennen.
Was dringt in der geist des bienenstocks zum Fenster hinein? Am Anfang, wenn der Vater am offenen Fenster seines Arbeitszimmers steht, sind es Dialoge aus Frankenstein, in denen zwei Wissenschaftler über das Wesen des Monsters streiten und dabei zwei verschiedene Haltungen zur Welt offenbaren: der eine, Frankenstein, möchte die Grenzen des Sichtbaren (und Erlaubten) überschreiten, um durch die Schaffung des Monsters die Gesetze des Lebens und Todes zu ergründen und zu beherrschen. Sein Mentor fordert ihn dagegen auf, sich an die Realität zu halten und einzusehen, dass das Monster das Gehirn eines Kriminellen trägt. Später, wenn Isabel wie tot am offenen Fenster liegt oder wenn Ana zum Schluss das Fenster öffnet, scheinen sie das Monster, die Bilder des Films im Spiel und in der Imagination wieder (herein) zu holen. Dabei zeichnen sich im Verhältnis zum Fenster nicht nur unterschiedliche Haltungen der Figuren, sondern auch eine Entwicklung von Ana ab. Während – abgesehen von der ersten Szene – der Vater (wie die Mutter) hinter den verschlossenen Fenstern des Hauses bleibt, allein auf die Erforschung seines Bienenvolkes konzentriert, ist es Ana, die – wie Frankenstein – auf die Suche nach den Geheimnissen des Lebens geht, die die Grenzen des (für ein Kind) Sichtbaren überschreitet und das Fenster öffnet.
In dieser Geste zeigt sich auch, dass Ana, anders als ihre Schwester, für die der Film nur Lug und Trug ist, ihre magische Sicht der Wirklichkeit am Ende nicht überwindet. Vielmehr scheint sie empfänglich für das (oder je nach Perspektive: verstört durch das), was jenseits des Vertrauten und Verstehbaren liegt und dem sie sich, nicht auf dem Weg der Wissenschaft oder der Religion, sondern im Bild des Horrorfilms nähert. Die Formel der Selbstbestimmung – „Soy Ana“: „Ich bin's Ana“ – geht einher mit einem Blick nach innen (Ana schließt kurzzeitig die Augen), mit der Anrufung ihrer Imagination, und mit einer Öffnung nach außen, zum Fremden. In diesem Sinne legt der geist des bienenstocks nahe, dass sich seiner selbst bewusst zu sein auch die Konfrontation mit Alterität, mit dem Unvertrauten und potentiell Gefährlichen, voraussetzt. Oder, wie Larraz es formuliert, dass Ana den Abgründen der Welt mit der Fähigkeit der Imagination, der Poesie begegnet.25 Damit wäre ein Kreis geschlossen: Der Film beginnt und endet mit dem (inneren) Blick eines Kindes auf das Monster – und reflektiert darin auch die eigene Ästhetik.
In seiner Darstellung der Kinoerfahrung und ihrer Wirkung weist der geist des bienenstocks auffallende Ähnlichkeiten zu cinephilen Diskursen des 20. Jahrhunderts auf. Vor allem in der französischen Cinephilie der Nachkriegsgenerationen gibt es eine Reihe von biografischen Texten, die die Erfahrung des Kinos in ihrer Kindheit schildern und die einen Ursprung der eigenen Identität als Cinephile im Kino verorten.26 Zugleich werden am Motiv des Kindes als Zuschauer*in in Filmen wie Ten Minutes Older oder Sie küßten und sie schlugen ihn die Eigenarten der Kinoerfahrung, vor allem die emotionale Wirkung von Filmen thematisiert. Diese wird gewissermaßen in den Gesichtern der Kinder aufgesucht, die – wie Chris Darke es in Bezug auf Ana Torrent formuliert – zum Bildschirm werden „upon which the external signs of an internal epiphany are being played out“.27 Darke hat darauf verwiesen, dass die Kinosituation in der geist des bienenstocks einen ‚cinephilen Moment’ inszeniert – das heißt eine in cinephilen Diskursen häufig betonte Affizierung durch ein Detail, einen besonderen Moment eines Films, der sich ins Gedächtnis einschreibt und der hier mit dem Blick des Kindes in Verbindung gebracht wird.28 Entscheidender und zutreffender erscheint mir jedoch der Bezug zu cinephilen Kindheitserinnerungen, beispielsweise von Serge Daney, Jean-Louis Schefer oder Alain Bergala, die die Kinoerfahrung als ein Schockerlebnis beschreiben und gerade darin ihr bildendes Moment verorten.29 Das Kino beschreiben sie als eine Bildungserfahrung außerhalb von Schule und Familie, die stabile Weltbilder erschüttert und eine Konfrontation mit dem Fremden, der Alterität, ermöglicht.30 Víctor Erice hat sich in diesem Sinne zu seiner eigenen Kinokindheit geäußert: „Diese einzigartige Geschichte – diejenige des Kinos, diejenige des Jahrhunderts – vermischt sich unablässig mit unserer eigenen Biografie. Ich spreche von den Leuten meiner Generation, die in der Zeit des Schweigens und der Zerrüttung, die auf unseren letzten Bürgerkrieg folgte, geboren sind. Das Kino hat uns adoptiert, uns – realen oder symbolischen Waisen – bot es einen außerordentlichen Trost: das Gefühl, der Welt anzugehören.“31
In dem Essayfilm La Morte rouge (Spanien 2006) schildert Erice dementsprechend eine Kindheitserinnerung an die Vorführung der Sherlock-Holmes-Verfilmung Die Kralle (The Scarlet Claw, R: Roy William Neill, USA 1944), die ähnliche Züge trägt wie Anas Begegnung mit Frankenstein. Auch für ihn füllte demnach der Film ein Vakuum, das er in seiner Umgebung wahrnahm, und er trug die Angst vor dem Mörder, den er in jedem Postboten vermutete, in die Realität seines Alltags. Dass der geist des bienenstocks in seinem Geburtsjahr 1940 verortet ist, trägt insofern auch programmatische Züge. Selbst wenn es sich nicht um einen autobiografischen Film handelt, sind hier offenbar Erinnerungen von Erice und von dem Drehbuchautor Ángel Fernández Santos eingegangen: Erinnerungen an eine Leere, die die Welt der resignierten Erwachsenen im Franco-Regime kennzeichnete, und an das klassische Hollywoodkino, das „einen Zugang zur Welt“ bot.32 Aus dieser Perspektive ließe sich die offene, elliptische Form des Films auch als Ausdruck von Erinnerungsspuren lesen – war der Film doch ursprünglich als Rückblick konzipiert.33 Die eigene Kinoerinnerung wird im Drehprozess in den Reaktionen der nachgeborenen Darstellerin Ana Torrent auf ihr Kinoerlebnis mit Frankenstein wiederaufgesucht.
Wie meine Ausführungen zeigen sollten, nähert sich der geist des bienenstocks Kindheit auf ganz unterschiedlichen Ebenen und in verschiedenen, teilweise auch gegenläufigen, sich kreuzenden Bewegungen. Er kann als eine Bearbeitung von Kindheitserinnerungen verstanden werden oder gar als ein Zeugnis/Ergebnis kindlicher Prägung durch das Kino: Denn indem der Film nachzeichnet, wie das Kinoerlebnis die Haltung des Mädchens Ana zur Wirklichkeit verändert und eine imaginäre Bearbeitung realer Traumata ermöglicht – scheint er auch auf seinen Ursprung, die Filmemacher, zu verweisen und auf die eigene Ästhetik, die von einer imaginären Durchdringung der Wirklichkeit zeugt. Umgekehrt bietet die offene, rätselhafte Form auch den Zuschauer*innen die Möglichkeit, die Lücken durch eigene (Kindheits-) Erinnerungen und Imaginationen zu füllen. Insofern mag der geist des bienenstocks, wie Benet es vermutet, die Bearbeitung von historischen Traumata ermöglichen.34
Jenseits dieser rückblickenden Dimension ist der geist des bienenstocks jedoch auch eine gegenwärtige Annäherung an die Kindheit, insbesondere an den Blick des Kindes: Diese erfolgt zum einen in der forschenden Haltung gegenüber der weiblichen Hauptdarstellerin, deren angstvoller und unergründlicher Blick festgehalten wird. Sie zeigt sich zum anderen in der ästhetischen Form und der Bauweise des Films, die sich die Weltwahrnehmung der kindlichen Hauptfigur zu eigen macht und den Zuschauenden auf ganz unterschiedlichen Ebenen vermittelt. Die elliptische Form artikuliert eine Haltung des Fragens und Nichtverstehens. Die Motivstruktur erschließt die filmische Welt über Objekte und stellt (Sinn)Zusammenhänge jenseits kausaler und narrativer Logiken her. In der filmischen Topografie werden die Grenzen des Vertrauten und Fremden auslotet. Und die Ästhetik von langen Einstellungen, von Überblendungen, von Licht-Schatten-Atmosphären und Klangcollagen durchsetzt den Film mit einer zweiten, imaginären Ebene, die eine unheimliche Transformation des Sichtbaren vollzieht – sodass nicht nur die Imagination des Kindes, sondern auch der geist des bienenstocks von dem Horrofilm Frankenstein besessen scheint. der geist des bienenstocks erforscht somit den Zustand der Kindheit und zugleich kann die Figur des Kindes als Ausdruck, oder Verkörperung einer spezifischen Haltung zur Welt verstanden werden, die der Film vermitteln will: „Bei Erice ist die Kindheit deutlich mehr als das Thema von Initiationsgeschichten, und etwas ganz anderes als ein wohlwollender Blick: sie ist ein Zustand der Wahrnehmung zu dem sein ganzes Werk hinstrebt“.35
Zitiervorschlag: Bettina Henzler: Der Blick des Kindes auf das Kino und die Welt. In: Bettina Henzler (Hg.): Filmästhetik und Kindheit. Online-Beiträge zum gleichnamigen Forschungsprojekt. Veröffentlicht am 17.01.2018, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:gbv:46-00106336-14.
Filme / Literatur
Contrechamp sur Victor Erice, R: Alain Bergala, Frankreich 2008. In: L'esprit de la ruche (aus der DVD-Reihe L'Eden Cinéma)
Der Geist des Bienenstocks / El espíritu de la colmena, R: Víctor Erice, Spanien 1973
Die Kralle / The Scarlet Claw, R: Roy William Neill, USA 1944
Frankenstein, R: James Whale, USA 1931
Jacquot de Nantes, R: Agnès Varda, Frankreich 1990
La Morte rouge, R: Víctor Erice, Spanien 2006
Sie küssten und sie schlugen ihn / Les quatre cents coups, R: François Truffaut, Frankreich 1959
Ten minutes older / Par desmit minutem vecaks, R: Herz Frank, Lettland 1978
The Footprints of a Spirit / Huellas de un espíritu, R: Carlos Rodríguez, Spanien 1998. In: The Spirit of the Beehive, Criterion Collection 2006
Züchte Raben / Cría Cuervos, R: Carlos Saura, Spanien 1976
Alain Bergala: Das Kino in der Kindheit. In: Kino als Kunst. Filmvermittlung in der Schule und anderswo. Marburg 2006, S. 49-86
Alain Bergala: Le cinéma, comment ça-va? Paris 2005
Alain Bergala: L’hypothèse cinéma. Paris 2002
Christian Boix: La danse des abeilles. In: Centre d'études et de recherches Hispaniques du XX siècle: L’esprit de la ruche. Voire et lire Victor Erice. Dijon 1990
Serge Daney: Persévérance. Paris 1992
Chris Darke: „Les enfants et les cinéphiles“. The Moment of Epiphany in The Spirit of the Beehive. In: Cinema Journal 49, Number 2, Winter 2010
Linda C. Ehrlich: An Interview with Victor Erice. In: Dies.: An Open Window. The Cinema of Victor Erice (Filmmakers). Maryland & London 2000, S. 37-62
Bettina Henzler: "Kino, Kindheit, Filmästhetik" auf dieser Website
Bettina Henzler: „Als ich auf die Welt kam, fiel ich auf ein Schlachtfeld“ – Zur Stimme und Figur des Kindes in Deutschland, bleiche Mutter, 2016
Bettina Henzler: Stimmen der Geschichte. In: Nach dem Film No. 14, 2015, Online [Abruf am 25.10.2016]
Bettina Henzler: Filmästhetik und Vermittlung. Zum Ansatz von Alain Bergala. Kontexte, Theorie und Praxis. Marburg 2006
Virginia Higginbotham: The Spirit of the Beehive. Trowbridge 1998
Annette Kuhn: Cinematic Experience, Film Space, And the Child’s World. In: Canadian Journal of Film Studies – Revue Canadienne d’Études Cinématographiques, 19(2), S. 82-89
Vicky Lebeau: Childhood and Cinema. London 2008
Karen Lury: Mud and Fairytales: Children in Films about war. In: The Child in Film. Tears, Fears, Fairytales. London 2010, S. 105-144
Jean-Louis Schefer: L’homme imaginaire du cinéma, Paris 1980
Jean-Claude Seguin: Lieux Clos et Espaces dans le cinéma de Victor Erice. In: L’esprit de la ruche. Voir et lire Victor Erice. Dijon 1990
Paul Julian Smith: Spanish Lessons. In: The Spirit of the Beehive (Booklet), Criterion Collection
Claus Stieve: Von den Dingen lernen. Die Gegenstände der Kindheit. München 2008
Marcos Uzal: Le regard fixe de l’enfance. A propos de l’Esprit de la ruche. In: Alain Bergala (Hg.), Victor Erice / Abbas Kiarostami. Correspondances, Paris 2008, S. 59-67
Ulrike Vossen: Victor Erice: El espíritu de la colmena. In: Ralf Junkerjürgen (Hg.): Spanische Filme des 20. Jahrhunderts in Einzeldarstellungen, S. 180-192
Sarah Wright: Memory and the child witness. In: Dies.: The Child in Spanish Cinema. Manchester 2013, 89-128
Anmerkungen
-
1
Siehe Sarah Wright: Memory and the child witness. In: The Child in Spanish Cinema. Manchester 2013, S. 89-128.
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2
Linda C. Ehrlich: An Interview with Victor Erice. In: Dies.: An Open Window. The Cinema of Victor Erice (Filmmakers). Maryland & London 2000, S. 37-62, hier S. 45. Es wurde mit zwei Kameras gedreht, mit der Handkamera wurden die Aufnahmen der beiden Kinder gefilmt, während eine zweite Kamera die Raumsituation abdeckte.
-
3
Ich beziehe mich hier auf den Begriff des Realen, den ich in Bezug zu den Theorien von André Bazin, Roland Barthes und Alain Bergala entwickelt habe. Siehe Bettina Henzler: Ästhetik des Realen. In: Filmästhetik und Vermittlung. Zum Ansatz von Alain Bergala. Kontexte, Theorie und Praxis. Marburg 2006, S. 195-218, hier S. 196.
-
4
Siehe auch: Alain Bergala: Contrechamp sur Victor Erice (Frankreich 2008). In: L'esprit de la ruche (aus der DVD-Reihe L'Eden Cinéma). Erice beschreibt darin auch seine Haltung im Unterschied zu Regisseuren, die auf die Kinder und Kindheit herabblicken: Er habe sich stattdessen von seiner Hauptdarstellerin leiten lassen: „C'est la difference que j'établis au cinéma entre les réalisateur qui traitent l'enfance comme d'une petite hauteur ou distance que donne l'âge. Et de là ils dirigent. Mais d'une certaine manière je pense qu’ils se penchent sur l'enfance, ils regardent. Mais il n'y a pas cette chose de faire que l'enfant soit vraiment conducteur. C'est celui qui a le savoir. Mais c'est un savoir qui ne passe pas par l'intelligence, c'est quelque chose de plus important.”
-
5
Darke 2010, S. 157.
-
6
„The figure of Frankenstein becomes Ana’s „placeholder of an otherness,” and the film presents her with numerous other beings whose „monstrousness“ hinges on their equivocal relationship to life and death: her father, first seen as a strange figure attired in his beekeeping outfit, who lectures his daughters on the perils of poisonous mushrooms; „Don José,“ the anatomy-lesson mannequin to which Ana symbolically adds eyes; the doomed fugitive freedom fighter whom Ana attends to; and, ultimately, Frankenstein himself, whose appearance to Ana (in a dream or hallucination) is the answer in the world to her earlier epiphany in the cinema.“ Darke 2010, S. 157.
-
7
Der Film wurde von der Zensur dennoch genehmigt. Siehe The Footprints of a Spirit (Carlos Rodríguez, 1998) In: The Spirit of the Beehive (Criterion Collection 2006).
-
8
Zu den vielfältigen impliziten Bezügen zum historischen Kontext siehe Emmanuel Larraz: Le réalisme poétique de l'Esprit de la ruche. In: L’esprit de la ruche. Voire et lire Victor Erice. Dijon 1990, S. 15-30 und Ulrike Vossen: Victor Erice: El espíritu de la colmena. In: Ralf Junkerjürgen (Hg.): Spanische Filme des 20. Jahrhunderts in Einzeldarstellungen, S. 180-192.
-
9
Vicky Lebeau: Childhood and Cinema. London 2008, S. 51f.
-
10
Vincente J. Benet: Das Unheimliche im Alltäglichen. Metaphern der Erinnerung in El espiritu de la Colmena. In: Christine Rüffert, Irmbert Schenk (Hg): Unheimlich anders. Doppelgänger, Monster, Schattenwesen im Kino. Berlin 2005, S. 85-92. Zur Zensurfassung siehe Fußnote 1, S.92.
-
11
Die Szene wird in der Sekundärliteratur meist als ein Moment der Initiation gedeutet. Vgl. Larraz 1990, S. 25 und Christian Boix: La danse des abeilles. In: Centre d'études et de recherches Hispaniques du XX siècle: L’esprit de la ruche. Voire et lire Victor Erice. Dijon 1990, S. 28-50, hier S. 48.
-
12
Lebeau 2008, S. 54f.
-
13
Zur Deutung in Bezug auf historische Kontexte siehe beispielsweise Sarah Wright: Memory and the child witness. In: The Child in Spanish Cinema. Manchester 2013, S. 89-128, hier S. 101. Virginia Higginbotham: The Spirit of the Beehive. Trowbridge 1998, S. 20f. Lebeau verweist auch auf die Andeutungen des Arztes, die die Möglichkeit sexueller Gewalt (das Mädchen und der Wald) ins Spiel bringen. Lebeau 2008, S. 54. Manche deuten daher die Szene im Wald als eine Vergewaltigung, oder als Halluzination in Folge von Pilzgenuss. Siehe Wright 2013, S. 101.
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14
Die Verbindung des Vaters und des Monsters wird vor allem im ersten Teil des Films über den Schnitt etabliert: Nach der Ankündigung des Monsters im Vorspann des Kinofilms wird zu einer Großaufnahme des Vaters in der Maske des Imkeranzugs geschnitten – später wird Isabel sich in dieser Kluft als Monster verkleiden und Ana erschrecken. Als die Mädchen im Bett über den Geist des Monsters sprechen, sind plötzlich Geräusche zu hören – die für die Zuschauer als Schritte des Vaters im Arbeitszimmer enthüllt werden, für die Mädchen aber wie eine Antwort auf die gespielte Geisterbeschwörung erscheinen müssen. Wie die anderen Figuren und Motive des Films greifen auch hier eine subjektive Ebene und eine objektiv-symbolische Ebene ineinander: Der Vater trägt offenbar im Blick des Mädchens Züge des Monsters; möglicherweise ist damit auch etwas über sein Verhältnis zu den Machthabern der Geschichte ausgesagt. Und um beides zu verbinden: Erscheinen nicht für die Nachgeborenen alle Erwachsenen als 'belastet’ durch ihre Vergangenheit?
-
15
„Mais la conscience du crime que le cinéma éveille en Ana va bien au-delà de ce contexte historique, ce sont toutes les peurs de l'enfance qui s'y nouent: peur d'un monde incompréhensible, pour de mourir, peur de vivre, peur d'être soi.“ Marcos Uzal: Le regard fixe de l’enfance. A propos de l’Esprit de la ruche. In: Alain Bergala (Ed.), Victor Erice / Abbas Kiarostami. Correspondances, Paris 2008, S. 59-67, hier S. 60.
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16
Siehe dazu Karen Lurys Ausführungen zum Kind als Zeugen in Kriegsfilmen: Karen Lury: Mud and Fairytales: Children in Films about war. In: The Child in Film. Tears, Fears, Fairytales. London 2010, S. 105-144 sowie meine Ausführungen zu Kinderfiguren im Neuen deutschen Film: Bettina Henzler: „Als ich geboren wurde, fiel ich auf ein Schlachtfeld“ – Zur Stimme und Figur des Kindes in Deutschland, bleiche Mutter; „Stimmen der Geschichte. In: Nach dem Film No. 14, Online.
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17
Zu den Horrorelementen in Der Geist des Bienenstocks, siehe Virginia Higginbotham: The Spirit of the Beehive. Trowbridge 1998, S. 27-31.
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18
Zum Raum in Der Geist des Bienenstocks siehe auch: Jean-Claude Seguin: Lieux Clos et Espaces dans le cinéma de Victor Erice. In: L’esprit de la ruche. Voir et lire Victor Erice. Dijon 1990, S. 5-13.
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19
Annette Kuhn: Cinematic Experience, Film Space, And the Child’s World. In: Canadian Journal of Film Studies – Revue Canadienne d’Études Cinématographiques, 19(2), S. 82-89, hier S. 85. Originalzitat aus Donald
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20
Paul Julian Smith: Spanish Lessons. In: The Spirit of the Beehive (Booklet), Criterion Collection. Wright, 93.
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21
Benet betrachtet Der Geist des Bienenstocks auch deshalb als alleinstehenden Versuch einer ‚Trauerarbeit’, die weder auf die Mittel des Symbolismus (wie in der Spät-FrancoZeit), noch auf die Mittel des Melodrams, das zur Identifikation mit den Opfern einlädt (Nach-Franco-Zeit) zurückgreift. Benet 2005, S. 90f.
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22
Christian Boix: La danse des abeilles. In: L’esprit de la ruche. Voir et lire Victor Erice. Dijon 1990, S. 27-50.
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23
Zur Rolle der Dinge in der kindlichen Entwicklung siehe Claus Stieve: Von den Dingen lernen. Die Gegenstände der Kindheit. München 2008.
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24
Übersetzung der englischen Untertitel der DVD Criterion Collection.
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25
Larraz 1990, S. 26.
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26
Siehe dazu: Bettina Henzler: Kino und Kindheit. In: Filmästhetik und Vermittlung. Marburg 2013, S. 138-193.
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27
Darke 2010, S. 153
-
28
Wright bringt die Faszination für den Blick des Kindes in cinephilen Diskursen mit dem kulturellen Klischee des unschuldigen Kindes in Verbindung. Siehe Wright 2013, S. 90. Mir scheint jedoch gerade in Der Geist des Bienenstocks eher die Vorstellung von einem Ursprung, einem ersten Mal in bezug zur eigenen Prägung, zum Gewordensein relevant.
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29
Siehe beispielsweise Jean-Louis Schefer: L’homme imaginaire du cinéma. Paris 1980; Serge Daney: Persévérance. Ort? 1992; Alain Bergala: L’hypothèse cinéma. Paris 2002.
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30
Siehe Bettina Henzler: Kino, Kindheit, Filmästhetik auf dieser Website.
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31
Zitiert nach Alain Bergala: Le cinéma, comment ça-va? Paris 2005, S. 86. Vgl. Ehrlich/Erice 2000, S. 49. Übersetzung aus dem Französischen von mir.
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32
Siehe dazu das Gespräch von Alain Bergala und Victor Erice Contrechamp sur Victor Erice (Frankreich 2008). In: L'esprit de la ruche (aus der DVD-Reihe L'Eden Cinéma).
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33
Die ursprüngliche Drehbuchfassung sah vor, den Film als Rückblick Anas zu erzählen, die nach dem Tod ihres Vaters zurück in den Heimatort kommt. Siehe dazu die Aussagen von Erice und dem Drehbuchautor Ángel Fernández Santos in: Traces of The Spirit of the Beehive.
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34
Benet 2005, S. 90.
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35
„Chez Erice l'enfance est donc bien plus que le sujet de récits initiatiques, et bien autre chose que l'objet d'un regard bienveillant: elle est un état de la perception vers lequel tout son cinéma est tendu.“ (Uzal 2008, S. 66).