Filmästhetik und Kindheit

Das Vertraute und das Fremde

WO IST DAS HAUS MEINES FREUNDES? / KHANE-YE DOUST KOJAST?

Alejandro Bachmann

07. April 2018

für Kinder

Titelbild

Nach der Erstsichtung von Wo ist das Haus meines Freundes? (Khane-ye doust kojast?, Abbas Kiarostami, 1987) im 35mm-Originalformat in der ursprünglichen Sprachfassung (Farsi) mit deutschen Untertiteln im Kino fiel im anschließenden Gespräch auf, dass die Schüler*innen außerordentlich viele Details wiedergeben konnten, die sie im Film beobachtet hatten. Sie erinnerten sich beispielsweise daran, dass es fast keine Geschäfte gibt und insgesamt nur wenig gekauft wurde – nur die Zigarettenpackung des Großvaters oder das Waschmittel der Mutter waren ihnen hier aufgefallen. Auch wurde angemerkt, dass die Mutter Ahmad am Ende des Films kurz über den Kopf streicht, obwohl sie am Anfang sehr streng war. Während die Handlung des Films selbst als sehr einfach wahrgenommen wurde („Es geht um einen Jungen, der seinem Freund, der in einem anderen Dorf wohnt, das Schulheft bringen möchte“), hatten sich – so schien es – der Blick und das Interesse verschoben: weg von der Geschichte und den kausalen Zusammenhängen innerhalb des Films hin zu den kleineren Momenten eines fremden Alltags/Umfelds. Genau diese Verlagerung der Aufmerksamkeit hatten wir bei der Wahl des Films für das Vermittlungsprojekt intendiert: Die Filme Abbas Kiarostamis tendieren dazu, die eigentliche Geschichte lediglich als Rahmen zu nutzen, um Situationen hervorzubringen, in denen die Figuren der Welt sehend begegnen, in einem Modus erhöhter Aufmerksamkeit. Auch die Schüler*innen hatten dies recht schnell erkannt und hatten keine Schwierigkeiten, eine Ähnlichkeit zwischen diesem Film von Abbas Kiarostami und dem in der vorherigen Sitzung gesichteten und besprochenen Nan va kucheh (Brot und Gasse, R: Abbas Kiarostami, Iran 1970) herzustellen: In beiden Filmen geht es darum, dass ein Kind auf sich allein gestellt ein Problem lösen und dabei vor allem genau auf seine Umwelt achten muss.

Dieser Schwerpunkt in der ersten Nachbesprechung legte nahe, für die genauere Analyse einen Ausschnitt zu wählen, in dem die Hauptfigur die vertraute Umgebung verlässt und in eine ihm fremde Welt eintritt. In Wo ist das Haus meines Freundes? ist das jener Moment, in dem Ahmad sich aus dem Innenhof seines Elternhauses davonschleicht und sich auf den Weg in das benachbarte Dorf macht, um dort seinen Freund zu finden und ihm das vergessene Schulheft zu bringen (ohne dass er genau weiß, wo dessen Haus ist) (siehe Filmausschnitt Online). Innerhalb des Films markiert diese Sequenz den Übergang vom Vertrauten in das Fremde, wobei der Film dies fast ausschließlich über Bilder und Töne vermittelt. Die Ausgangsidee war nun, genauer zu analysieren, wie der Film mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln versucht, diesen entscheidenden Moment zu erzählen.

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