Filmästhetik und Kindheit

Das Baby im Slapstick

Die Fee / La Fée

Bettina Henzler

14. Dezember 2017

Filmanalysen

Titelbild

«De facto ist ihre Referenz der Slapstick, den Tati und Étaix erneuert haben, mit einem gewissen Sinn für ‹Nonsense›, für das Unpassende, für den sehr persönlichen Gebrauch von Objekten und die unvorhersehbare Wendung von Situationen. Im Unterschied zu anderen wäre hinzuzufügen, dass ihr Werk auch eine zärtliche Poesie auszeichnet, etwas Wunderbares, das aus der Kinderliteratur kommen könnte.»1 (Jean Roy, l’Humanité)

Der Slapstick wird häufig als ein Genre definiert, in dem Erwachsene zu Kindern werden, für welche die gesellschaftlichen Regeln des Anstands keine Gültigkeit haben und die sich ungehemmt ihren Triebkräften, ihren Lüsten und Animositäten hingeben.2 Kinder treten dagegen nur selten als Protagonisten des Slapstick auf. Abgesehen von Charles Chaplins berühmten Stummfilm The Kid (USA 1921), in dem der Tramp ein Findelkind adoptiert, oder von der Kinderbande der US-Kurzfilmserie Die kleinen Strolche (The little Rascals, USA 1922–1944) finden sich nur wenige Beispiele, in denen Kinder eine tragende Rolle spielen.3 Das mag daran liegen, dass die in Slapstickfilmen inszenierte Körperkomik akrobatische Fähigkeiten voraussetzt. Die komischen Kontrollverluste setzen beim Schauspieler eine außergewöhnliche Körperkontrolle voraus, denn die Streiche und Missgeschicke der erwachsenen Figuren basieren häufig auf komplexen Choreographien. Kinder fungieren am ehesten als ‚Sidekicks‘ im Ehekonflikt (wie in His Trysting Place, Charlie Chaplin und Mable Normand, USA 1914), als Spiegelbilder der ‚kindlichen‘ Erwachsenenfiguren (wie in Baby Bachelor, Snub Pollard).4 Oder sie ahmen, wie in der Satire-Serie Baby Burlesque (Charles Lamont, USA 1933/1932), in der Kleidung von Erwachsenen stereotype Rollen und Verhaltensweisen nach und wirken wie ein komischer Zerrspiegel der Erwachsenenwelt.5

Das Slapstickmärchen La Fée (Dominique Abel, Fiona Gordon, Bruno Romy, Frankreich/Belgien 2011) ist ein seltenes zeitgenössisches Beispiel, in dem das Kind – in diesem Fall ein Baby – in seiner (körperlichen) Eigenart respektiert wird und diese dennoch Gegenstand komischer Szenen ist. Das belgisch-kanadische Komikerpaar Fiona Gordon und Dominik Abel spielt darin die selbsternannte Fee Fiona und den Nachtportier Dom, die im modernen Le Havre für ihr Glück kämpfen – gegen die Zugriffe staatlicher und privater Ordnungshüter, gegen die Logiken der Ökonomie und der Rationalität. Ich habe an anderer Stelle diese Beziehungskonstellation in Bezug auf die Dramaturgie des Films und die Demontage von Geschlechterrollen analysiert (Die Fee, der Nachtportier und das Baby).6 Hier soll es um die Figur des Babys gehen, das erst in der zweiten Hälfte des Films zur Welt kommt und Brennpunkt einer Reihe von Slapstick-Performances ist. Diese Performances kreisen um die körperlichen Bedürfnisse des Babys und um ‚Standardsituationen‘ in der Beziehung von Erwachsenen und Kindern: Geburt, Namensgebung, Ernährung, (körperliche) Bindung, Einschlafen und Gefahr (für die körperliche Unversehrtheit). Im Folgenden werde ich eine Auswahl von Szenen in Hinblick auf die ‚Performance‘ mit dem Baby analysieren. Diese Szenen können auch zum Nachdenken über Kindheit im Slapstick anregen und verdeutlichen, wie mit der Analogie von Kind und Erwachsenen grundlegende Bedingungen des Menschseins verhandelt werden.

Siehe auch "Die Fee, der Nachtportier und das Baby. Das Slapstickmärchen La Fée als Kommentar zu Körperkomik und Gender. In: RabbitEye, 2016.

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